Ave Maria, ein bislang unbekanntes Albumblatt mit Liszts Unterschrift für die Stiftung Liszt Museum

Anfang November 1843 begab sich Liszt nach Stuttgart. Neben seinen Privatkonzerten im Zuge seiner Tournee in Süd- und Mitteldeutschland spielte er dort fünfmal öffentlich. Seinen ersten Auftritt hatte er am 5. November, sein Abschiedskonzert zu wohltätigen Zwecken fand am 21. November im Hoftheater statt. Dem Konzert folgte ein Bankett im Hotel Marquardt, wo er logierte. Als Star- und Ehrengast des Abends wurde ihm auch die Auszeichnung des württembergischen Königs verliehen.

Von Liszts Konzertprogrammen sind viele nicht mehr rekonstruierbar. Nach dem, was wir davon wissen, spielte er jedes Mal auch beliebte Bravourstücke, um das Publikum für sich zu gewinnen. Solche waren zum Beispiel der Grand galop chromatique, zwei Oper-Paraphrasen (Donizettis Lucia di Lammermoor und Mozarts Don Giovanni) und die Klaviertranskription der Ouvertüre von Rossinis Guillaume Tell. Auch drei erfolgreiche Schubert-Lieder erklangen häufig, nur können wir leider nicht mehr feststellen, ob er dabei einen Sänger begleitete oder seine eigenen, in den Jahren 1837-1838 entstandenen Bearbeitungen zum Besten gab. Sicherlich spielte er besonders oft die Lieder ErlkönigStändchen und Ave Maria, wobei das letzte für ihn, aufgrund seiner Beziehung mit der Gräfin Marie d’Agoult, eine besondere emotionale Bedeutung hatte.

Die Harmonisierung der ersten Takte dieser Ave Maria-Transkription, ist nun im handschriftlichen Albumblatt aufbewahrt, das erst vor kurzem in den Besitz der Stiftung Liszt Museum gelangte. Es trägt keine Widmung und kann mithin nicht mit einer konkreten Person Verbindung gebracht werden. Die Datierung lässt aber einen Zusammenhang mit Liszts Stuttgarter Abschiedskonzert vermuten. Unter dem entsprechenden Datum (21. November 1843) schreibt Liszt den Namen der Stadt in seiner charakteristischen Handschrift als „Stuttgard”. Im fünftaktigen, für 4-5 Stimmen bearbeiteten Auszug behielt er die Originaltonart (B-Dur); das ursprüngliche Vorspiel ersetzte er durch eine eintaktige, harmonisch differenzierte Akkordfolge.

Das Albumblatt stammt aus der Erbmasse der 1928 in Budapest geborenen Pianistin Ágnes Radó – in den USA als Ági Radó bekannt –, die am 22. Februar 2019 starb. Ihre erste Lehrerin war ihre Mutter, das erste Konzert gab sie mit 11 Jahren. Ab 1945 war sie Schülerin von Ernő Szegedi und István Antal, aber sie nahm auch Privatstunden bei Leo Weiner und bei György Ferenczy. Während ihrer Karriere legte sie großen Wert auf die Verbreitung der Werke von Zoltán Kodály, Béla Bartók und Franz Liszt. Sie war in drei Konzentrationslagern, aus ihrer Familie ist sie die einzige Überlebende. 1956 emigrierte sie in die USA; hier, wie in vielen europäischen Städten, gab sie ab 1970 neben ihrer Lehrtätigkeit auch regelmäßig Solo- und Orchesterkonzerte. In das 500.000-ste Sondermodell der Klavierhersteller Steinway wurde auch ihr Name eingraviert. Neben mehreren amerikanischen Preisen wurde sie auch mit der Anerkennung der Liszt Gesellschaft ausgezeichnet.

Für das Manuskript bedanken wir uns bei Barbara Johnson, die von Ágnes Radó beauftragt wurde, das Albumblatt an das Liszt Museum weiterzuleiten. Bei der Übersendung nach Budapest kam uns auch die Ungarische Botschaft in Washington zu Hilfe, bei deren Mitarbeitern wir uns hiermit ebenso bedanken.